Don Quichotte

Gerhart Dieter Greiß
Ausbildungsleiter am Studienseminar in Korbach

Die Disposition mancher Unterrichtsentwürfe folgt nicht der operationalen Logik eines Planungsprozesses, sondern irgendwelchen vorgegebenen Formularen. Das ist meiner Aufgabe und Absicht als Leser mehr oder weniger hinderlich, die didaktische Struktur des Unterrichtsvorhabens zu verstehen. Nach der Vorab-Lektüre manchen derartigen Entwurfs bin ich nicht sicher, ob mir etwas gefehlt hätte, wenn ich ihn nicht gelesen hätte.

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Zur Gliederung eines schriftlichen Unterrichtsentwurfs

Sie können sich beim Verfassen eines schriftlichen Unterrichtsentwurfs an Vorlagen orientieren, müssen es aber nicht. Ich füge hinzu: Wenn Sie sich und Ihrem Leser intellektuell keine Gewalt antun wollen, verfassen Sie Ihre didaktischen Ausarbeitungen als originale Darlegung originaler Gedankenarbeit und nicht etwa als Ausfüllung eines Formulars (gähn).
Eines muss klar sein und bleiben und in der didaktischen Ausarbeitung konkret werden: Der Zweck von Unterricht ist die Initiierung, Stützung und Sicherung von Bildungsprozessen. Daher muss die ausführliche Darstellung eines Unterrichtskonzepts die Inhalte, Ziele und Begründungen beabsichtigter Bildungsprozesse und die Klärung der diese Prozesse tragenden Verfahren und Mittel enthalten.
Nach meiner ausbildungsdidaktischen Grundüberzeugung lernt man Untericht zu planen weder durch Ausfüllen schematischer Vorlagen noch durch sprachliche Anlehnung an einen Katalog von Vorformuliertem, sondern durch eigenständige Auseinandersetzung mit der aktuellen Unterrichtsaufgabe. (Siehe auch: Zur Frage der Ausführlichkeit eines schriftlichen Unterrichtsentwurfs.)

Typische Unterrichtsvorbereitung
Mathematik, n. Klasse
Thema der Unterrichtseinheit: Eigenschaften gekrümmter Räume
Thema der Unterrichtsstunde: Invarianz angeschmiegter Häkchen
  1. Bedingungsanalyse
  2. Einbettung der Stunde in die Unterrichtseinheit
  3. Einordnung der Einheit in den Lehrplan
  4. Sachanalyse
  5. Didaktisch-methodische Vorüberlegungen
  6. Lernziele
  7. Literaturverzeichnis
  8. Verlaufsplanung

Zur Platzierung der „Vorüberlegungen

Unter „Vorüberlegungen“ versteht der unverbrämte Sprachgebrauch Überlegungen, die zeitlich noch vor dem eigentlichen Nachdenken angestellt werden, etwa um ihm grundsätzliche Bedingungen und Annahmen vorauszuschicken und so den Rahmen zu spezifizieren, dessen Klärung ihm aufgetragen sein soll. Wenn Sie an dieser Stelle „Vorüberlegungen“ notieren wollen, worum handelt es sich dann bei den mit „Bedingungsanalyse“, „Einbettung der Stunde in die Unterrichtseinheit“, „Einordnung der Einheit in den Lehrplan“ und „Sachanalyse“ überschriebenen Ausführungen? Um Vor-Vorüberlegungen?? Oder um Vorüberlegungen, die aber nicht „didaktisch-methodischen“ Inhalts sind?? Und wenn es sich im 5. Abschnitt um didaktisch-methodische Vorüberlegungen handelt, sollen dann etwa die substantiellen didaktisch-methodischen Überlegungen der Verlaufsplanung im 8. Abschnitt entnommen werden??
Sie sehen: Sie kommen textgliederungslogisch und didaktiklogisch in Teufels Küche, wenn Sie von irgendjemandem oder von irgendeiner Institution ein angeblich bewährtes oder angeblich vorgeschriebenes, gleichwohl unlogisches, didaktiktheoretisch unhaltbares Gliederungsschema übernehmen. Selbst wenn es sich um ein geeignetes Gliederungsschema handelte, hielte ich seine Anwendung für bedenklich; geht es doch beim Verfassen einer didaktischen Ausarbeitung nicht darum, der Abgabe einer Steuererklärung vergleichbar ein Formular auszufüllen. Der notwendigen Originalität (und Qualität) der didaktischen Auseinandersetzung ist ein solches Vorgehen fast in jedem Fall abträglich.

Zur Platzierung der „Lernziele

Angenommen, die so genannten „didaktisch-methodischen Überlegungen“ (wir nennen sie jetzt aus den dargelegten Gründen nicht mehr Vorüberlegungen) hätten, was in den meisten vorgelegten Unterrichtsentwürfen der Fall ist, im Wesentlichen gar nicht die didaktische Analyse der Unterrichtsthematik, sondern die unterrichtsmethodische Konstruktion zum Gegenstand (so dass wir sie nicht „didaktisch-methodische Überlegungen“, sondern „methodische Konstruktion“ nennen sollten), dann ist es unlogisch, sie vor den gesetzten Unterrichtszielen darzustellen. Methode sind die Mittel, Formen und Wege der Zielerreichung. (Klippert hin, didaktische Vernunft her -:) Unterrichtsmethodische Komponenten sind nur als Mittel für einen didaktischen Zweck (Unterrichtsziel) sinnvoll. Zwar kann und soll auch das Erlernen von Methoden ein didaktischer Zweck sein; aber auch dann bleibt es dabei: Für diesen Zweck ist eine unterrichtsmethodische Konstruktion erforderlich, und diese unterrichtsmethodische Konstruktion ist ein Mittel für diesen Zweck. Auch kann es vernünftig und notwendig sein, Unterrichtsziele aufgrund gewisser unterrichtsmethodischer Entscheidungen zu modifizieren oder zu ergänzen. Aber in jedem Fall sind die Hauptziele des Unterrichts Kernbestandteil der didaktischen Analyse und sollten nicht zwischen die Darstellung der methodischen Unterrichtskonstruktion und die doch ebenfalls zur Unterrichtsmethodik gehörende Verlaufsplanung geschoben werden.

Zur Platzierung der „Bedingungsanalyse

Wenn die didaktischen Überlegungen beim mathematischen Inhalt des Unterrichts ansetzen, sollte dies einen entsprechenden Niederschlag in der Gliederung der didaktischen Ausarbeitung finden.
Eine didaktische Ausarbeitung mit einer Bedingungsanalyse zu eröffnen ist genau dann sinnvoll, wenn die zentralen didaktischen (intentionalen und thematischen) Entscheidungen auf die Bedingungen gegründet werden sollen, wenn also die Berücksichtigung der Bedingungen über anpassende Modifikationen des im Wesentlichen schon feststehend Vorgesehenen hinausgeht und der Planungsanlass im Bedingungsfeld liegt. Dann müssten konsequenterweise sämtliche Entscheidungsmomente, nicht etwa nur die Methodik und die Medienwahl, sondern auch die Intentionalität und Thematik des Unterrichts aus der Betrachtung des Bedingungsfeldes heraus entwickelt werden.
Wenn die Planung aber ihren Ausgang nimmt von einer thematischen oder intentionalen Setzung, dann ist eine Untersuchung der Bedingungen für einen thematisch oder intentional festgelegten Unterricht nur im Anschluss an die Darstellung des thematischen beziehungsweise intentionalen Kerns sinnvoll und verständlich (und notwendig). (Siehe G. D. Greiß, Bildungstheoretisch begründetes Modell für das Planen von Bildungsprozessen, dem das nachstehende Flussdiagramm entnommen ist.)

(Achtung! Die Reihenfolge, in der die Planungsmomente hier aufgeführt sind, sollte keineswegs als schematische Empfehlung verstanden werden! Siehe: G. D. Greiß, Bildungstheoretisch begründetes Modell für das Planen von Bildungsprozessen.)

[Diese Grafik enthält die wesentliche Information] [BT_UP_002.gif BITTE GEDULD BEIM DOWNLOAD!] [Diese Grafik enthält die wesentliche Information.]

Anmerkungen:

[1]Heinrich Roth: Pädagogische Anthropologie.
Band I: Bildsamkeit und Bestimmung. Hannover: Schroedel, (1966) 4. Aufl. 1976.
Band II: Entwicklung und Erziehung. Grundlagen einer Entwicklungspädagogik. Hannover: Schroedel, (1971) 2. Aufl. 1976.
Heinrich Roth: Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens. Hannover: Schroedel, (1957) 12. Aufl. 1970.

[2] Hans Aebli: Psychologische Didaktik. Stuttgart: Klett, (1951/1962) 1976.
Hans Aebli: Zwölf Grundformen des Lehrens. Stuttgart: Klett-Cotta, (1983) 1985.
Hans Aebli: Grundlagen des Lehrens. Stuttgart: Klett-Cotta, 1987.

[3] Siehe:
Wagenschein, Martin: Verstehen lehren. Weinheim und Berlin: Beltz, 1968.
Heinrich Roth, Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens. 12. Aufl. Hannover: Schroedel, (1957) 1970.
Klafki, Wolfgang: Die bildungstheoretische Didaktik im Rahmen kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft. Oder: Zur Neufassung der Didaktischen Analyse. In: Gudjons, Herbert / Winkel, Rainer (Hrsg.): Didaktische Theorien. 9. Aufl. Hamburg: Bergmann + Helbig, (1980) 1997. S. 13-34.
Kessen, William: Unterrichtsstrategie. In: Jerome S. Bruner (Hrsg.): Lernen, Motivation und Curriculum ("Learning About Learning - A Conference Report').  Frankfurt am Main: Athenäum Fischer, 1974. S. 107-113.
"Die Systematik der Schulfächer entfernt sich [...] normalerweise weit von den Ideen und Eingebungen der Männer, die das Wissensgebiet ins Leben gerufen haben. Das lernende Kind muß nun nichts weniger tun als diesen Schöpfungsakt nachzuvollziehen. Es braucht die Freiheit, sein Wissen in der ihm gemäßen Art aufzubauen, wenn es sich den Lernstoff aktiv aneignen und verfügbar machen soll. [...] Immer sollte es [das Kind] so weit wie möglich seine eigene Verbindungslinie zwischen Problem und Lösung ziehen können. Der vorbildliche Lehrer gibt den herrischen Anspruch des Stoffes auf, um originelle und selbständige Gedanken zu wecken und das Kind von seinem Wunsch nach müheloser Klarheit zu befreien. [...] Die Aufgabe des Lehrers - und sie macht seinen Beruf zum schwierigsten aller Berufe - ist es, dem Kind Möglichkeiten aktiven Wissenserwerbs zur Verfügung zu stellen."

[4] Wenn wir danach fragen, was gelernt werden soll / wird / worden ist, würden Antworten zu kurz greifen, die sich nur auf den thematisierten Lerngegenstand bezögen. Immer wird auch mitgelernt, wie dieser Lerngegenstand thematisiert und erschlossen wird; immer werden somit auch lerngegenstandsspezifische, aber auch lerngegenstandsunabhängige Motive und Methoden mitgelernt, und zwar in einem für das Lernen günstigen oder ungünstigen Sinne. Diesen Sachverhalt gilt es bei der Planung, bei der Durchführung und bei der Auswertung des Unterrichts kritisch mitzubedenken.

[5]Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik. 5. Aufl. Weinheim / Basel: Beltz, 1996. Zweite Studie: Grundzüge eines neuen Allgemeinbildungskonzepts. Im Zentrum: Epochaltypische Schlüsselprobleme. S. 43-82.

[6] Siehe Klafki, Wolfgang: Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung. In: Roth, Heinrich / Blumenthal, Alfred (Hrsg.): Didaktische Analyse. S. 5-34. 3. Auflage. Hannover: Schroedel, 1962. Bezugsstelle: S. 17-19.

[7]
Siehe Aebli, Hans: Zwölf Grundformen des Lehrens. Stuttgart: Klett-Cotta, (1983) 1985 (2. Aufl.). Bezugsstelle: S. 253-258.

[8]
Siehe Wolfgang Klafki: Zum Verhältnis von Didaktik und Methodik. In: Klafki/Otto/Schulz: Didaktik und Praxis. Weinheim/Basel: Beltz, 1977. S. 13-40, insbesondere S. 30-32.

[9]
Derrida, Jacques: Die Schrift und die Differenz. (1967) In: P. Engelmann (Hrsg.): Postmoderne und Dekonstruktion. Stuttgart 1993. S. 114 f. Siehe Norbert Schneider: Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne. Stuttgart: Reclam 1996. S. 252 f.

[10]
Hans Freudenthal: Mathematik als pädagogische Aufgabe. Band 2. Klett, Stuttgart. 1973, 1. Auflage. S. 379.

[11]
Siehe:
Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik. 5. Aufl. Weinheim / Basel: Beltz, 1996.
Klafki, Wolfgang: Die bildungstheoretische Didaktik im Rahmen kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft. Oder: Zur Neufassung der Didaktischen Analyse. In: Gudjons, Herbert / Winkel, Rainer (Hrsg.): Didaktische Theorien. 9. Aufl. Hamburg: Bergmann + Helbig, (1980) 1997. S. 13-34.

[12]
"Lehr-Lern-Prozeßstruktur, verstanden als variables Konzept notwendiger oder möglicher Organisations- und Vollzugsformen des Lernens (einschl. sukzessiver Abfolgen) und entspr. Lehrhilfen, zugleich als Interaktionsstruktur und Medium sozialer Lernprozesse." Wolfgang Klafki in:
a) Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik. 5. Aufl. Weinheim/ Basel: Beltz, 1996. Zitat: S. 272.
b) Die bildungstheoretische Didaktik im Rahmen kritisch-konstruktiver Erziehungswissenschaft. Oder: Zur Neufassung der Didaktischen Analyse. In: Gudjons, Herbert / Winkel, Rainer (Hrsg.): Didaktische Theorien. 9. Aufl. Hamburg: Bergmann + Helbig, (1980) 1997. S. 13-34. Zitat: S. 18.

[13]
Die Option "exemplarischer Unterricht" vs. "informierender/orientierender Unterricht" möge im Sinne Heinrich Roths verstanden werden: Heinrich Roth, Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens. 12. Aufl. Hannover: Schroedel, (1957) 1970. Kapitel "Orientierendes und exemplarisches Lehren" (S. 169 ff.).Sowohl nach Roths Auffassung als auch nach der Wagenscheins (Wagenschein, Martin: Verstehen lehren. Weinheim und Berlin: Beltz, 1968) versteht sich "exemplarischer" Unterricht immer auch als "genetischer" Unterricht und kann auch informierender/orientierender (darbietender) Unterricht am genetischen Prinzip orientiert sein.

[14]
Siehe Anmerkung 4.

[15]
Siehe die vorige Anmerkung.

[16]
Siehe:
Hans Aebli: Zwölf Grundformen des Lehrens. Eine Allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage. Stuttgart: Klett-Cotta, (1983) 1985.
Heinrich Roth, Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens. 12. Aufl. Hannover: Schroedel, 1970. S. 208 ff.