Die verflixte Rechenaufgabe

Von Otto Waalkes

Wir befinden uns im Wohnzimmer der Familie Redlich. Vater Redlich sitzt gemütlich in seinem Fernsehsessel und liest im milden Schein der Leselampe seine Bildzeitung. Mutter Redlich poliert ihren geliebten Gummibaum. Ihr Sohn Oliver sitzt über seinen Schulbüchern und macht seine Hausaufgaben.

Sohn: Papa! 
Vater (ins Lesen vertieft): Ja? 
Sohn: Ich hab' hier 'ne Rechenaufgabe. 
Vater (immer noch ins Lesen vertieft): Meinetwegen. Aber komm nicht so spät nach Hause. 
Sohn: Ich hab' hier 'ne Rechenaufgabe, die krieg' ich nicht raus. 
Vater (jetzt bei der Sache): Was? Die kriegst du nicht raus? Zeig mal her. 
Sohn: Hier. 28 durch 7. 
Vater: 28 durch 7? Und das kriegst du nicht raus? Elke! Dein Sohn kriegt 28 durch 7 nicht raus! 
Mutter: Dann hilf ihm doch. 
Sohn:  Was heißt denn 28 durch 7, Papa? Wofür brauch' ich das denn? 
Vater:  Wofür? Wofür? Alle naslang brauchst du das. Stell dir vor, du hast 28 Äpfel, ihr seid sieben Buben und wollt die Äpfel untereinander aufteilen. 
Sohn:  Wir sind aber immer nur vier. Der Fips, der Kurt, sein Bruder und ich. 
Vater:  Dann nehmt ihr halt noch den Erwin, den Gerd und den Henner dazu, dann seid ihr... 
Sohn:  Der Henner ist blöd! Der kriegt keinen Apfel. 
Vater:  Na, dann musst du eben sehen, wen du sonst noch auf der Straße triffst. 
Mutter: Der Junge geht mir nicht auf die Straße! Der macht jetzt seine Schularbeiten! 
Vater:  Jetzt misch dich nicht auch noch ein. Oder weißt du eine bessere Erklärung, wie 28 durch 7 geht?
Mutter:  Jedenfalls geht der Junge nicht auf die Straße. 
Vater:  Gut. Er bleibt hier. Wir haben also keine sieben Buben, sondern nur 28 Äpfel, und die teilen wir jetzt durch sieben Birnen, das macht..., das macht... 
Mutter:  Aber Hermann! Das geht doch gar nicht! 
Vater:  Ja ja, das war falsch... Nun macht doch nicht alles so kompliziert! Ihr seid also keine sieben Birnen... äh... Buben, - ihr seid sieben... sieben... - na! ... sieben Zwerge! Jawohl! Ihr seid sieben Zwerge! 
Sohn:  Und? 
Vater:  Und die haben zusammen eine 28-Zimmer-Wohnung, 
Mutter:  Ach Gott, Hermann, es gibt doch in der ganzen Stadt keine 28-Zimmer-Wohnung! 
Vater:  Natürlich nicht! Es gibt ja auch in der ganzen Stadt keine Zwerge, verdammt noch mal! Also unterbrich mich jetzt nicht! Wie oft gehen 28 Zwerge - nein ... äh... 
Mutter:  Ha! Und was machen deine Zwerge in ihrer 28-Zimmer-Wohnung, wenn ich fragen darf? 
Vater:  Wohnen! Was denn sonst?! 28 Zwerge durch sieben Zimmer! 
Mutter:  So, so! Die gehn da durch. Hintereinander, wie? 
Vater:  Äh... 
Sohn:  Und was macht das Schneewittchen, Papa? 
Vater:  Äh... Schneewittchen? Die... die soll bleiben, wo sie ist, die dumme Nuss! 
Mutter:  Aber Hermann! 
Vater:  Na gut. Nehmen wir halt was anderes. Die sieben Geißlein zum Beispiel. Die mit den Wölfen. Also: Sieben Geißlein durch 28 Wölfe. Wieviel Gölflein frisst jedes Weiß... 
Mutter:  Ach, Hermann! 
Vater:  Ach Hermann, ach Hermann!! Geißlein! Wölflein! Lasst mich doch endlich mit dem Mist zufrieden! 
Sohn:  Was ist denn nun 28 durch 7?! 
Vater:  Hm. Du hast recht, mein Junge, man muss die Nerven behalten. Also, wer frisst denn da immer die Wölfe? Elke!
Mutter:  Was weiß denn ich? Rotkäppchen vielleicht? 
Vater:  Na gut. Sieben Rotkäppchen fressen 28 Geißlein... Oder anders: die Wälder. Die Wälder! 28 Rotkäppchen rennen durch sieben Wälder...
Mutter: ...und 28 Großmütter fressen sieben Wölfe..
Vater: ...und sieben Geißlein kaufen sich 28 Wackersteine!
Sohn: Schreit doch nicht so! Das geht mir auf den Wecker!
Vater: Wecker! Sehr gut! Du hast 28 Wecker, und du musst um sieben aufstehen. Wieviel...
Mutter: Seit wann muss der Junge denn um sieben aufstehen? Der muss um halb sieben raus, so wie der immer rumtrödelt.
Vater: Gut! Gut.
Mutter: Und wenn du dir Beispiele ausdenkst, dann denk dir welche aus, unter denen sich der Junge auch etwas vorstellen kann.
Vater: Ist recht! Ist recht. Ö 28 durch 7. Das muss man tei-len! Verstehst du? Tei-len, wie eine Tor-te. Die teilst du in der Mitte durch, und dann ist sie ge-teilt, klar?
Sohn: Ja. Und dann?
Vater: Und bei deiner Aufgabe musst du eben 28 Torten durch 7 teilen, jawohl. Ö 28 Torten. (Er sieht seinen Sohn an. Der begreift nichts.) Elke! Ich bin's leid. Kauf jetzt 28 Torten!
Mutter: Für wen denn?
Vater: Für uns sieben!
Mutter: Wir sind aber doch nur drei!
Vater: Dann werden eben noch vier dazu eingeladen! Die Gierigs, die alte Raffke und der gefräßige Herr Mertens. Kauf die Torten!
Mutter: 28 Torten?! Aber das ist ja viel zu teuer, Hermann!
Vater: Für die Bildung meines Sohnes ist mir nichts zu teuer. Jetzt kaufst du die 28 Torten!
Sohn: Aber das ist doch Wahnsinn! Da... da muss ja jeder von uns vier Torten essen!
Vater (stutzt, wird blass): Au weia, wenn ich nur dran denk', all das süße Zeug...
Mutter: Na also, dann könnten wir doch...
Vater: Nein! Die Aufgabe wird jetzt gelöst! Kauf die Torten!
Mutter (beim Hinausgehen): 28 Torten! Vier Torten für jeden! Das schaffen wir doch nie!