Wie werden das „Hubückverfahren“ 
oder die „wobischen Greze“ 
im Deuthemachunterricht 
zum Thema im didaktischen Sinne?

„Der Flächeninhalt des Trapezes“, „Der Handstand“, „das und dass“, „Das Hubückverfahren“ oder „Die wobischen Greze“ - das sind noch keine Themen im didaktischen Sinne.

Zum Thema im didaktischen Sinn wird ein Sachverhalt oder -bereich erst durch das konkrete Interesse der Lernenden, durch das er Bedeutung und die Arbeit an ihm ein Ziel erhält.

Thematisierung beruht auf interaktiver Wahrnehmung eines Feldes von neuen Sachverhalten, auf dessen Ausschöpfung sich hinreichend starke Handlungsmotive richten:

Meine Zweitklässler wollen Weitspringen für die Bundesjugendspiele üben. „Okay“, sage ich, „dann bringt morgen etwas mit, womit ihr eure Weiten messen könnt.“ Heute machen wir uns schon mal klar, was man bei Weitsprung alles beachten muss (Anlauf, Absprungsbereich, Absprungsgeschwindkeit, Absprungskraft, Absprungswinkel, geschicktes Verhalten bei der Landung). Das hat die Sportlehrerin schon alles mit den Kindern geklärt und geübt; aber mit der Umsetzung hapert es noch gewaltig. Wir schieben den Sandkastenwagen vom Flur in unser Zimmer und schaffen uns ein Modell für die Sprunggrube und für die Anlaufbahn. Playmobil- oder auch Barbie-Puppen sind wie immer vorhanden; sie müssen jetzt in Zeitlupe zeigen, wie man es richtig macht, aber auch wie man es falsch macht. Die Sache mit dem Absprungswinkel machen wir uns klar, indem wir alle (!) im Flur Schlusssprünge mit flachem, mittlerem und extrem steilem Absprungswinkel ausprobieren. Die Fugenlinien zwischen den quadratischen Fliesen dienen uns als Maßlinien; man hört Feststellungen wie „Du hast nur zwei Fliesen geschafft? Ich habe eben drei Fliesen und noch ein bisschen geschafft“. Einer organisiert Kreide, um den Sprungweitenvergleich ganz exakt durchführen zu können. Ein anderer kommt mit dem Meter-Lineal aus der Klasse wieder, legt es an der Absprungslinie an und kräht etwas von „6!“, „5 und 3 Striche!“. Unsere Erkenntnis, dass ein mittlerer Absprungswinkel am günstigsten ist, machen wir uns nochmals mit Hilfe einer Playmobilfigur im Sandkastenwagen klar, und auch, was man eigentlich messen muss (wir wollen vom vordersten Absprungspunkt bis zum hintersten Landepunkt messen). - Als ich am nächsten Tag in die Klasse komme, haben viele Kinder angefangen, Klassenkameraden, den Klassenraum, das Meterlineal oder die Bücherreihen im Klassenbücherei-Regal mit einem Zollstock aus Vaters Werkstatt, einem Messband aus Mutters Nähkasten oder mit einem mehrere Meter langen Maßband mit Aufwickelautomatik zu vermessen. Zahlen schwirren durch die Luft. Zwei machen Schlusssprünge, messen die Weiten und schreiben sie auf einen Zettel. Einer hat Linien an die Tafel gezeichnet und will nun, dass ein anderer sie misst. Ein paar Kinder sind auf sich sauer, weil sie vergessen haben, zu Hause einen Zollstock zu organisieren, und nun auf ihr viel zu kurzes Lineal angewiesen sind. Ihnen will ich helfen, aber nicht zu weitgehend (meine irgendwann für 99 Pf je Stück erworbenen 150 cm langen Metermaße lasse ich in der Tasche). Ich drücke ihnen ein Knäuel Paketgarn in die Hand. Das macht sie nicht heiterer: „Da fehlen ja die Striche!“ „Dann macht euch doch welche“, sage ich und wende mich anderen zu, die angefangen haben, ihre Püppchen im Sandkasten springen zu lassen und die Sprungweiten zu messen. Als ich zu den Kindern mit dem Paketgarn schaue, scheinen sie noch saurer als vorher zu sein, denn soeben hat jemand mit seinem Zollstock nachgemessen, ob die Fasermalerstriche richtig gesetzt sind. Die falschen Striche werden mit Rot ungültig gemacht, und schließlich sind auch die Messgarne geeicht. - Die Stunde ist zu Ende. In der Pause sieht man meine Schüler auf dem Schulhof mit ihren Maßbändern im Schlepp oder mit ihren Zollstöcken schwingend herumlaufen; zwei messen die Länge des Weges zu den Toiletten. Ein Mädchen will feststellen, wie hoch das Klettergerüst ist; das klappt erst, als ihr ein anderes Kind hilft, mit einem Finger den Punkt festzuhalten, an dem der Zollstock wieder anzulegen ist. - In der nächsten Stunde kommen wir auf unser sportliches Anliegen zurück und führen unsere Weitsprungsversuche durch. Die Messungen werden partnerschaftlich durchgeführt; die Weiten werden auf einem Zettel notiert. Einem Mädchen fällt auf, dass manche Kinder ganz falsch messen: Die fangen bei der 1 an, müssten aber doch bei der 0 anfangen - sonst hätte man ja schon einen Zentimeter gesprungen, wenn man genau an der Stelle wieder landet, wo man abgesprungen ist. Ein Junge will nicht gelten lassen, dass er nur 2 Zentimeter weit gesprungen sein soll, und nachdem er den für die Messung Verantwortlichen klargemacht hat, dass sie das Maßband nicht verdrehen (verdrillen) dürfen, steht zu seiner Beruhigung und Zufriedenheit die Weite 148 Zentimeter fest. - Im Klassenzimmer haben wir gerade noch Zeit, dass jeder seine gemessenen Sprungweiten ordentlich ins Heft schreibt. Zu Hause wollen die Kinder weiterüben, um ihre Weiten zu verbessern. Beim nächsten Mal werde ich die Kinder ihre besten Sprungweiten sicht- und vergleichbar machen lassen, indem sie ebenso lange Streifen aus Tapetenresten herstellen, beschriften und nebeneinander unter einer vorgegebenen „Absprungslinie“ an den Fenstern befestigen. Im weiteren Verlauf der Unterrichtsreihe wird der Begriff „Längeneinheit“ auszuschärfen sein (nicht die Einteilungsstriche auf dem Maßstab oder Maßband sind zu zählen, sondern die Abschnitte); außerdem muss das Verhältnis zwischen Zentimetern und Metern genauer untersucht werden. 

Manchmal ist das Interesse nicht spontan vorhanden; man will es dann wecken.
Wie weckt man Interesse? Was ist zu tun, damit „Das Hubückverfahren“ oder „Die wobischen Greze“ zum Thema werden? 

Möglichkeiten, das Interesse der Lernenden zu wecken (hier etwas drastisch überzeichnet):
a) Man arrangiert ein unerhörtes, faszinierendes Erlebnis, das die Lernenden so oder so intensiv noch nicht hatten. 
b) Man arrangiert ein Diskrepanz-Erlebnis, in dem eine neue und eine alte Erfahrung (oder zwei alte Erfahrungen) einander zu widersprechen scheinen: „Da kann doch was nicht stimmen!“
c) Eine Unterabteilung der Rubrik „Diskrepanz-Erlebnisse“: Man arrangiert eine Handlungssituation unter Bedingungen, unter denen eine zunächst zu passen scheinende Gewohnheit oder Überzeugung (Fertigkeit oder Anschauung) nicht zum Ziele führt: „Was ist denn jetzt los, wie kommt das denn?“

Allgemein (Kurzreferat Piagetscher Psychologie): 
Im unverbildeten Menschen sind von Anfang an Antriebe zur geistigen Aneignung von erfahrener Welt (Assimilation) und zur geistigen Anpassung an erfahrene Welt (Akkommodation) wirksam. Diese Antriebe gilt es didaktisch zu nutzen. Sowohl Assimilation als auch Akkommodation sind nur im Wechselspiel von Erfahren und Denken möglich. Die intensivsten Anstöße erhält das Denken durch Erfahrungen, die nicht in die vorhandenen kognitiven Schemata (zu) passen (scheinen) oder deren Konsequenzen im Widerspruch zu eigenen Ansichten oder Strebungen stehen. 
Bloß enzyklopädisch an die Kinder herangetragene Stoffe sind demgegenüber didaktisch bedeutungslos. Aber auch bloße Spielereien (Aktivitäten ohne gedankliches Durcharbeiten) vermitteln höchstens ansatzweise und oberflächlich zwischen Kind und Sache, aber noch nicht im Sinne einer Thematisierung. 

Damit Thematisierung gelingen kann, man also interaktiv ein Feld von neuen Sachverhalten wahrnehmen und abstecken kann, auf dessen Ausschöpfung sich hinreichend starke Handlungsmotive richten, muss der Lehrer den zu thematisierenden Sachbereich didaktisch reduzieren
Didaktische Reduktion
ist die Rückführung eines Begriffs oder Sachverhalts auf eine diesem Begriff oder Sachverhalt zugrundeliegende Handlung, die den Kindern naheliegt: am Herzen liegt, unter den Nägeln brennt, in den Fingern juckt, ein abenteuerliches oder versponnenes Spiel (probeweises Verändern, erkundendes Sich-Einlassen) mit der Realität ist. 

Gerhart Dieter Greiß, Studienseminar Korbach